Radverkehrsführung, separiert oder im Mischverkehr? PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: TF   
Samstag, den 04. Februar 2017 um 18:05 Uhr

Anläßlich der aktuellen Debatte über die Art der Radverkehrsführung zeigt in diesem Kommentar der Verkehrsrechtliche Sprecher der Ortsgruppe Rendsburg Torben Frank die unterschiedlichen Formen der Radverkehrsführung sowie deren Vor- und Nachteile auf.

(TF) Die Debatte über die Art der Radverkehrsführung wurde durch den Beschluß des ADFC ausgelöst, daß der ADFC protected bike lanes fordert. Protected bike lanes, geschützte Radstreifen sind Radverkehrsanlagen, die baulich vom Kf-Verkehr getrennt sind, z.B. Poller oder Blumenkübel. Diese Innovation kommt aus den USA, wo sie in einigen Städten umgesetzt wurde. Es wird Verkehrsfläche zugunsten des Radverkehrs umverteilt, so verliert der Kraftfahrzeugverkehr meist eine Spur. Diese Spur wird wie beschrieben von der übrigen Fahrbahn abgetrennt. Duerch die bauliche Trennung wird dem Wunsch der meisten Radfahrenden nach Separation entsprochen, auch wird das widerrechtliche Beparken mit Kfz auf diese Weise unterbunden. Trotz Separation bleibt der Radverkehr besser im Sichtfeld der Kfz-Führenden als auch dem klassischen Hochbordradweg.

Das vehicular cycling, so wird das Radfahren auf der "Straße"genannt, ist unpopulär, obwohl es nach § 2 StVO der Regelfall sein soll. Der vehicular cyclist ist ein Exot, meist männlich und gut eingelesen. Fakt ist, daß der Unfall im Längsverkehr innerorts sehr selten ist, während der radwegetypische Abbiegeunfall durch vehicuklar cycliing vermieden wird. Der für schlechte Hochbordradwege übliche Abbiegeunfall ereignet sich, weil der Radverkehr außerhalb des Sichtfeldes Autofahrender unterwegs ist, und weil nach Erkenntnis der Unfallforschung der Versicherer (UdV) rund 20 % der Kfz-Führenden vor dem Abbiegen den Schulterblick unterlassen.
Separation ist von den meisten Radfahrenden wegen des subjektiven Sicherheitsempfindens gewünscht. Die meisten Autofahrenden wissen nicht um die notwendigen Sicherheitsabstände. Sie erwarten, daß Radfahrende am äußersten rechten Rand fahren und trotz Gegenverkehr hauteng überholt werden können. Jedoch ist es notwendig, daß der Radfahrende die gesamte Spur für sich beansprucht, 0,5 bis 1 m zum Fahrbahnrand, 0,75 bis 1,5 zu längsparkenden Autos. Kfz-Führende müssen einen seitlichen Überholabstand von mindestens 1,5 zu Radfahrenden halten, also zum Überholen die Spur wechseln.Wegen des Fehlverhaltens der Kraftfahrzeugführenden fühlen sich Radfahrende "zwischen den Autos" unwohl und unsicher. Das führt zum Gehwegradeln, was zu Lasten auch der Sicherheit des Fußverkehrs geht.
Viele Kfz-Führende reagieren auch sehr aggressiv auf vehicular cycling. Übergriffe sind weltweit mit Helmkameras von vehicular cyclists dokumentiert worden. Die Bandbreite der Aggressionen fängt bei Gefährdung durch vorsätzlich enges Überholen an und endet bei körperlichen Attacken bis hin zum Mordversuch, bei dem das Kraftfahrzeug als Tatwaffe eingesetzt wird. Auch in der Region Rendsburg gibt es derartige Übergriffe Autofahrende, welche auf Video dokumentiert sind. Von den Staatsanwaltschaften und der Polizei werden vehicular cyclists im Regelfall im Stich gelassen, wenn Übergriffe angezeigt werden. Regelunkenntnis, abber in einigen Fällen auch die fehlende charakterliche Eignung ein Kraftfahrzeug zu führen vieler Kraftfahrzeugführender vergiften das Verkehrsklima auf den Straßen.
In der Neuen Dorfstraße in Büdelsdorf fand in der Schulzeit des Autors selbstverständlich vehicular cycling statt. Das Unfallrisiko war auch objektiv niedriger als das jener, die m parallen Neuen Gartenweg mit seinen vielen Einmündungen fuhren. Dort hatte Büdelsdorf in den frühen 1980ern alle Fehler gemacht, welche bei der Radverkehrsführung gemacht werden können: schmaler gemischter Fuß- und Radwege, Zweirichtungsradweg, schlechte Sichtbeziehungen an Einmündungen durch Holzpfähle ... Heute fahren in der Neuen Dorfstraße sehr viele Radfahrende ordnungswidrig auf dem Gehweg, was sehr gefährlich ist, aber auch die Aufenthaltsqualität für den Fußverkehr erheblich stört.

Auch Radfahr- und Schutzstreifen werden seitens vieler Radfahrender schlecht angenommen. Diese werden allerdings von den den Kommunen meist leider auch unsachgemäß ausgestaltet. Sie werden durch die dooring zone parkender Autos geführt, werden nur nach Mindestmaß ausgeführt. Die Verbindung mit der Unwissenheit vieler motorisierter Verkehrsteilnehmer über notwendige Seitenabstände lassen ein Unwohlsein aufkommen. In Kiel in der Ohlshausenstraße kann ein solcher Schutzstreifen ausprobiert werden. Wegen des begrünten Mittelstreifens brausen Busse hauteng links am Radfahrenden auf dem Schutzstreifen vorbei, während rechts jeder Zeit auf dem Parkseitenstreifen eine Fahrertür unachtsam geöffnet werden könnte. Wegen des Gefälles ist das Tempo Radfahrender in Richtung Leibnizstraße hoch. An anderer Stelle werden Schutz- oder Radfahrstreifen gerne ordnungswidrig als Kfz-Parkfläche beansprucht, was zur Notwendigkeit des Einfädelns Radfahrender in den Mischverkehr führt. Die eingangs benannten protected bike lanes sind Radverkehrsanlagen, welche genau diese Schwächen der Schutz- und  Radfahrstreifen nicht haben, weil sie gestalterisch abgetrennt werden.

Dervorhandene  Hochbordradweg, also der klassische Radweg auf dem Bürgersteig neben dem Gehweg mag als Nutzungsangebot für unsichere Radfahrende gerne erhalten bleiben. Aber für Benutzungspflichten ist er wegen seiner Unzumutbarkeit, insbesondere wegen des hohen Unfallrisikos ungeeignet. Da aber bei sehr vielen, insbesndere älteren Autofahrenden eine Regelunkenntnis über den Wegfall der Allgemeinen Radwegebenutzungspflicht besteht, erhöhen baulich vorhandene Radwege das Aggressionspotential gegen vehicular cyclists. Die Walmöglichkeit, welche der Geograph Heiner Monheim lobt, überfordert deutsche Verkehrsteilnehmer. Nach Erkenntnis der Bundesanstalt für Straßenwesen nutzen auch nach Aufhebung einer Benutzungspflicht über 90 % der Radfahrenden weiterhin den Radweg. Dazu kommt die Aggression regelunkundiger Autofahrender, welche sich am Radfahrenden auf der Fahrbahn stören. Auch der  Diskurs zwischen Separationsbefürwortern und vehicular cyclists zeifgt auf, daß die Möglichkeiten der Optionsangebote nicht erfaßt werden. Straßenverkehrsordnung sagt dem Radfahrenden § 2 StVO: Du führst ein Fahrzeug und mußt auf der Straße fahren. Wenn rechts ein Radweg baulich vorhanden ist, darfst Du ihn aber benutzen, wenn Du es willst.
Die Modalverben "dürfen", "müssen", "können", sollen" scheinen ohnehin kaum noch verstanden zu werden, was wohl an der fehlenden humanistischen Bildung liegen könnte. Auch die freie Wahl zwischen indirektem und direktem Linksabbigern ist vielen Menschen fremd. Das direkte Linksabbiegen mit entsprechendem Einordnen ist die sicherere und zügigere Methode des Linksabbiegens für Radfahrende. Die Straßenverkehrsordnung erwähnt es jedoch nicht, sondern erwähnt in § 9 StVO nur das indirekte Abbbiegen. Das Modalverb "können", welches dort verwendet wird, um das indirekte Linksabbiegen als Option zu erlauben, wird zum Teil von sprachlich unbedarften Verwaltungsmitarbeitern als Gebot interpretiert. Die Wahlmöglichkeit scheint dem deutschen Gemüt, welches durch totalitäre Regime geschädigt ist, fremd.

Eigenständig geführte Radwege sind autofreie Wege. Alternativ gäbe es die Fahrradstraßen, in denen ausnahmsweise Kfz-Verkehr zugelassen werden kann. Sie bilden Abküzungen, z.B. von einer durchlässigen Sackgasse in eine andere Straße oder gar Parallelrouten zu Hauptverkehrsachsen. Leider wird auf solchen Routen der Radverkehr häufig mit Fußverkehr vermischt. In den Niederlanden oder in Kiel führen Velorouten über eigenständige Radwege oder ein Fahrradstraßennetz. Wer in Kiel den Lärm und den Gestank des Westrings meiden will, nimmt die Route, die z.B. durch die Hansastraße führt.
Kiel hat einen eigenen Fahrradplan herausgegeben, welcher das Veloroutennetz vorstellt. Das Rendsburger Pendant ist leider eher mißglückt, auch wenn der Gedanke ansich gut war. Die Rendsburger Radwegenetzkarte zeichnet einfach Straßen mit (unzumutbaren) Radwegen farblich nach. So führt eine Veloroute nach Fockbek durch die Fockbeker Chaussee mit ihren unfallträchtigen Hochbordradwegen, während die Alternative Rotenhöfer Weg unbeachtet bleibt. Die Stadtverwaltung hat inzwischen Wegweiser aufgestellt, welche die Alternativroute Rotenhöfer Weg aufzeigen. Die Nobiskrüger Allee böte sich als Alternative zur Kieler sowie zur Alten Kieler Landstraße an, ist jedoch mit schlechter Anbindung sowie 50 km/h Höchstgeschwindigkeit derzeit unattraktiv. Mit den Fahrradstraßen Wehrautal und Moltkestraße hat Rendsburg ein Teilstück einer guten Veloroute vom Fußgängertunnel in die Innenstadt geschaffen. Mangels Repression gegen gefährdende Autofahrende, ist das Verkehrsklima in jenem Straßenzug leider so schlecht, daß einige Radfahrende ordnungswidrig auf den Gehwegen der Fahrradstraßen fahren!

Die Frontlinien der verkehrspolitischen Kämpfe sind asymmetrisch. Über 90 % der Alltagsradfahrenden haben eine Fahrerlaubnis für PKW. Dn meisten von ihnen steht auch ein eigener PKW zur Verfügung. Der Autoverkehr ist insbesondere in Ballungsräumen mit hoher Armut und geringem Bildungsstand starkt. Akademiker nutzen eher andere Verkehrsmittel, z.B. das Fahrrad. Es ist ein sozialer Konflikt auf den Straßen. Das Auto wird in bestimmten Schichten als Statussymbol betrachtet. Wer den ÖPNV nutzt oder Fahrrad fährt, wird als Verlierer betrachtet, der entweder Alkoholiker oder zu arm ist, um ein Auto zu fahren. Für die Anderen ist es eine betrieswirtschaftliche oder pragmatische Lösung, mit dem Fahrrad zu fahren, sie sehen die Parkplatzsituation und den Bewegungsmangel. Aber es gibt auch den Typus, der in seiner _Freizeit wegen der schlechten Radverkehrsinfrastruktur mit seinem Rennrad selbstverständlich als vehicular cyclist unterwegs ist, aber im Alltag mit dem Stadtrad auf Radwegen unterwegs ist, oder im allgemeinen vehicular cycling nur schnellen Radfahrenden zugestehen will.

Um den Radfahrenden, welche von den "gut ausgebauten Radwegen", die in Wirklichkeit unzumutbar und unfallträchtig sind, in ihrer Kommune schwärmen, zu zeigen, daß es bessere Radverkehrsanlagen gibt, sind Leuchtturmprojekte wie der Radschnellweg RS 1 Ruhr sehr wichtig.Für Rensburger bieten sich Ausflüge nach Kiel mit dem Fahrrad an, um bessere Radverkehrsinfratruktur kennenzulernen. Es geht fabei nicht nur um Komfort, sondern vorrangig um Sicherheit.der fertiggestellte Abschnitt der Kieler Veloroute 10 ist ein Beispiel für einen hervorragend ausgeführten eigenständigen Radweg mit komfortablen Untergrund.
Es gibt Aktionen, welche Radfahrende mit dem besseren Untergrund Asphalt vertraut machen. Wer im sich im Alltag auf gepflasterten Hochbordradwegen zur Arbeit kämpft, merkt schnell, wie gering der Rollwiderstand des Asphalts eines für eine Fahrradsternfahrt gesperrten Autobahnabschnittes  ist. Aber auch ohne Organisation läßt sich vehicular cycling im Rudel monatlich erfahren, in einigen Städten gibt es critical mass, so z.B. in Rendsburg am letzten Freitag eines Monats um 19 Uhr ab Lornsen-Denkmal am Paradeplatz.

Es gibt keine pauschale Lösung . Fakt ist jedoch, daß ein Verkehrsverbot für eine Verkehrsart nicht das mildeste Mittel, sondern schlichtweg unzulässig ist. Solch ein Verkkehrsverbot für den Radverkehr gibt es in Rendsburg An der Bleiche, obwohl es keine alternative Routenführung gibt. Die Umverteilung des Verkehrsraumes wäre der richtige Weg. Aber dafür bedarf es den politischen Willen. Sogar das Verkehrsverbot für den Radverkehr auf der B 77 im Kanaltunnel istrechtlich unzulässig, solange es keine alternative, zumutbare Streckenführung gibt.
Da, wo es keine Fläche zum Verteilung zwischen den Verkehrsarten gibt, ist vehicuar cycling erste Wahl. In ruhigen Wohnstraßen funktioniert das tadellos. Bei höherem Kfz-Aufkommen jedoch, ist für den Einzelfall abzuwägen.  Ein Blick in die Neue Dorfstraße in Büdelsdorf zeigt, daß es dann aber ein alternatives Angebbot geben muß. Da böte sich nach einigen Umgestaltungen der Neue Gartenweg als parallele Achse an, um eine Veloroute als Angebot zu schaffen.
Da, wo der Verkehrsraum breit ist, wie in der Kieler Straße oder in der Fockbeker Chaussee in Rendsburg, muß der Verkehrsraum neu verteilt werden. Das sind Straßenzüge, in denen protected bike lanes realisiert werden können.

Dank des Unwillens oder Unvermögens der Kommunalverwaltungen und der Regelunkenntnis vieler Verkehrsteilnehmer ist sicheres und zügiges Radfahren leider derzeit nur mit vehicular cycling zu realisieren. Wer sich ideologiefrei wie der Autor bewegen will, greift die Erkenntnisse der Wissenschaft und die Angebote der Straßenverkehrsordnung auf. Ein wichtiger Grundsatz ist dabei, daß gute Radwege keine Benutzungspflicht brauchen. So wird in der Brückenstraße auf dem Hochbordradweg gefahren. Dagegen werden de unzumutbaren, unfallträchtigen Radwege gemieden. Da, wo es möglich, der Umweg nicht zu lang und zeitlich umsetzbar ist, werden Alternativrouten genutzt.
Es ist nun Aufgabe der Kommunen, endlich die Novellen der Straßenbverkehrsordnung seit 1997 umzusetzen und den Radverkehr bei Planungen zu berücksichtigen.Der Blick in die VwV-StVO sowie die ERA 2010 ist zwingend.  Die Zeit, in der zuerst der Verkehrsraum für Automobilität gestaltet und die restliche Verkehrsfläche auf Rad- und Fußverkehr verteilt wurde, ist vorbei. Neue Konzepte blicken zuerst auf den Fuß-, dann auf den Radverkehr, wobe der ÖPNV nicht unbeachtet bleibt, der Rest der Verkehrsfläche wird dem motorisierten Individualverkehr zugestanden. Dafür bedarf es mutiger, zuerst unpopulärer Entscheidungen vor Ort, wenn es etwa um den Wegfall öffentlicher Verkehrsfläche geht, welche als Parkraum genutzt wurde.Statt Verkehrsverboten ist das mildeste Mittel zu wählen, das kann die Geschwindigkeitsbeschränkung für Alle sein. Wer den Radverkehr ernsthaft fördern will, muß sichere und komfortable Radverkehrsinfrastruktur schaffen.
Die Ausgangsfrage, ob Separation oder Mischverkehr die Wahl wären, muß mit einem Sowohl-als-auch beantwortet werden. Eine pauschale Lösung für alle Umstände gibt es nicht. Jedoch sind Angebote für Radfahrende, die separiert werden wollen, notwendig, wenn eine Radverkehrsförderung mit Steigerung des Anteils des ökologisch und volkswirtschaftlich wünschenswerten Radverkehrs am Gesamtverkehr gewünscht wird.


Zuletzt aktualisiert am Samstag, den 04. Februar 2017 um 18:32 Uhr
 

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