Vehicular cycling? - Radfahren "mitten auf der Straße" und der Wunsch nach guten Radverkehrsanlagen PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: TF   
Montag, den 12. Dezember 2022 um 14:22 Uhr

Beiträge im Blog geben die Meinung einzelner Autoren, nicht zwingend der Ortsgruppe oder des ADFC wieder. Hier erläutert unser Aktivwer und Verkehrsrechtlicher Sprecher Torben Frank, warum er wie einige andere Radfahrende auch lieber auf der Fahrbahn als auf den üblichen Radwegen fährt. Warum bei fallenden Radwegebenutzungspflichten niemandem etwas genommen wird, wird auch erklärt. Es sei betont, dass der ADFC sich für die Schaffung von Radverkehrsanlagen nach Stand der Technik einsetzt.

Das Prinzip vehicular cycling

Rechtlich sind Fahrräder Fahrzeuge (vgl. § 1 StVG, § 63a StVZO), mit denen auf der Fahrbahn gefahren werden muss (§ 2 StVO). Fahrbahn, das ist der Straßenteil, der im Volksmund "Straße" genannt wird. Die Fahrbahn ist zuerst einmal der Verkehrsbereich, wo alle Verkehrsarten unterwewgs sind. Gibt es einen zumutbar benutzbaren Gehweg, müssen zu Fuss Gehende ihn benutzen (§ 25 StVO). Der Gehweg ist ein Straßenteil, ein Sonderweg. Es gibt also eine Gehwegbenutzungsflicht für Fussverkehr. Anders als insbesondere Polizisten und kommunale Verwaltungsmitarbeiter meinen, ist Radverkehr kein Fussverkehr. Radverkehr ist Fahrzeugverkehr. Und Gehwege sind Schutzräume für Fussverkehr. Das müssen sich auch Radfahrende bewußt machen: sie führen ein Fahrzeug. Kinder unter 8 bzw. 10 Jahren bleiben bei diesen Betrachtungen außen vor (vgl. § 2 V StVO).
Wer vehicular cycling betreibt, macht also das, was rechtlich vorgeschrieben ist. Vehicular cycling ist regelkonformes Radfahren. Es geschieht im vollen Bewußtsein, ein gleichberechtigtes Fahrzeug zu führen, ein gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer zu sein. Die meisten vehicular cyclists sind zugleich "StVO-Ultras", kennen die Straßenverkehrs-Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in der aktuellen Fassung. Diese sollte eigentlich jeder Verkehrsteilnehmer kennen, insbesondere aber sollten diese Regeln auch jene kennen, die Verkehrsraum gestalten und vor allem jene, welche die Regeln durchsetzen sollen. Ein "StVO-Ultra" ist nicht der Streber unter den Verkehrsteilnehmenden, sondern der Idealtypus. Die Anderen sind schlichtweg Bildungsversager, oder vielleicht anders begabt, aber nicht zur Teilnahme am Straßenverkehr geeignet, und schon gar nicht zur Verkehrsraumgestaltung.

Hierarchie im Verkehrsrecht?

Zuletzt vor rund einem Monat an einem Samstag belästigte eine Streifenwagenbesatzung den Autor dieser Zeilen. Sie waren angesichts des Agebotsradwegs in der Eckernförder Straße der Auffassung, wo ein Radweg sei, müsste der Radweg benutzt werden. Es nicht zu tun, wäre eine Verkehrsbehinderung. Darin zeigte sich das übliche Verkehrsquerdenkergeschwurbel. Radverkehr wäre kein Verkehr und hätte dem Kraftfahrer nicht im Weg zu sein. Der Radfahrerende habe zu kuschen Interessanterweise ist das die Verkehrsrechtsauffassung, welche in der RStVO von 1934 galt. Doch ist das das Verkehrsrecht in der Bundesrepublik? Gibt es eine Hierrarchie, nach der das Automobil Herrenfahrzeug ist und sich in einer Verkehrsmittelapartheid alle anderen Verkehrsarten unterzuordnen hätten? Nein! S kann der § 1 StVO kann als Beleg angeführt werden, dass diese Hierarchienicht gegen ist; viel mehr haben sich die "Stärkeren" den "Schwächeren" unterzuordnen.  Ein Sozialdarwinismus ist im Verkehrsrecht also nicht gegeben, sondern eher eine christlich-jüdische Tradition.
Der Staat, der Verordnungsgeber muss berücksichtigen, dass es ein Recht auf Freizügigkeit und in einem gewissen Rahmen auch ein Recht der freien Wahl des Verkehrsmittels gibt. Und es gibt das echt auf körperliche Unversehrtheit. Der Verordnungsgeber kann sich also nicht hinstellen und sagen: "Freie Fahrt dem Kfz-Verkehr, wer nicht Auto fährt, hat halt Pech gehabt", sondern muss nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz allen Menschen im Verkehr unabhängig von der Wahl der Verkehrsart Sicherheit und Freizügigkeit gewähren. Und so muss Verwaltung auch den Verkehrsraum gestalten. Das Bundesrecht sagt inhaltlich: "Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer hat Vorrang vor der Leichtigkeit des Verkehrs". Und Verkehr ist nicht nur Kfz-Verkehr. Radverkehr ist Verkehr. Und viel zu häufig unterschlagen wird die Verkehrsart, zu welche alle auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug gehören, der Fussverkehr. - Wenn es eine Hierarchie im Verkehrsrecht gibt, steht die Seniorin mit Rollator ganz oben, der SUV-Fahrer recht weit unten. Denn der SUV-Fahrer hat sich wegen seines Betriebsrisikos dem Schutzbedürfis der Seniorin mit Rollator unterzuordnen. Schienfahrzeuge haben technisch bedingt eine Sonderrolle. Wegen des Schutzbedürfnisses anderer Verkehrsteilnehmer gibt es Regeln wie jene zu den Sicherheitsabständen. Gegenseitige Rücksichtsnahme wird häufig als Pflicht zum Kuschen des Schwächeren interpretiert, ist aber vorrangig die Verpflichtung des Stärkeren die Sicherheitsbedürfnisse des Schwächeren zu berücksichtigen.
Dass auch Verwaltung Verkehrsrecht im Sinne eines Sozialdarwinismus fehlinterpretiert, zeigt sich in "Serviceleistungen" wie einem Ampelcountdown für zu Fuss Gehende. Nach normativem Recht hat ein zu Fuss Gehender, der bei Grün die Fahrbahn betreten hat, zwar die Pflicht, diese auch zu räumen. Aber Rot für ihn und Gründ für den allgemeinen fahrverkehr bedeuten längst nicht, dass er überfahren werden dürfte, wie es dann sogleich mit röhrendem Motor und dichtem Auffahren angedeutet werden wird (motorisierte Gewalt). Es besteht auch bei Grün eine Wartepflicht für den allgemeinen Fahrverkehr, wenn die zu Fuss Gehenden die Fahrbahn noch nicht vollständig gequert haben. Ein Countdown signalisiert den Schwächsten: "Du schaffst es nicht, warte gefälligst, ansonsten behinderst Du Lump den Kfz-Verkehr." Solche "Service-Angebote" eben also falsche Signale und benachteiligen die Schwächsten.
Ein Münsteraner Sozialwissenschaftler prägte den Begriff der "Verkehrsmittelapartheid" für die systematische Benachteiliigung nichtmotorisierter Verkehrsarten zugunsten der Automobilität. Angesichts der Diskrepanz und verbrieftem Recht und vor Ort praktiziertem Unrecht lassen sich durchaus Parallen zur Situation der People of Colour in den Südstaaten der USA ziehen. Der Unterschied liegt darin, dass wir hier mit der Wahl des Verkehrsmittels noch für uns entscheiden können, ob wir Unterdrückte sein wollen oder nicht. Übrigens haben über 90 % der volljährigen Alltagsradfahrenden eine Fahrerlaubnis für PKW. Der Unterschied ist, dass 6 bis 8 Fahrräder auf einen PKW-Parkplatz passen. Wenn also Alltagsradfahrende auf das Auto umsteigen, wird es eng. Eigentlich läge es also auch im praktischen Interesse Autofahrender, dass Alltagsradverkehr gefördert wird.

Gut ausgebauter Radweg?

Auf Unverständnis stößt es, wenn vehicular cyclists Radwege rechts liegen lassen und lieber "mitten auf der Straße" radfahren. Unkundige Beobachter halten das für Selbstgefährdung, Automobilisten unterstellen vorsätzliche Verkehrsbehinderung, bösartige blaubraun verSUVte Vertreter des bewaffneten Arms der Autolobby (Polizei) rennen zum Arbeitgeber und unterstellen dem vehicular cyclist border liner, weil er sich selbst gefährde und andere Verkehrsteilnehmer provoziere. Als wenn regelkonformes Verhalten provozieren dürfte ...
Es hat etwas mit Sicherheit zu tun. Der klassische Radweg, wie wir ihn im Raum Rendsburg sehr häufig vorfinden, ist unkomfortabel und dazu unfallträchtig. Vehicular cycling ist also auch sicherheitsbewußtes Radfahren.
Das Unfallrisiko auf Radwegen haben diverse Studien beschrieben. Eine gute Zusammenfassung liefert der engagierte Radverkehrsaktivist Bernd Sluka, der auch auch seine Quellen im kritischen Apparat benennt. Hauptprobleme sind Konflikte mit abbiegenden Kraftfahrzeugen, dooring, Konflikte mit zu Fuss Gehenden und auf engem Raum mit anderen Radfahrenden. In der Konsequenz strich der Verordnungsgeber 1997 die allgemeine Radwegebenutzungspflicht aus der StVO zum 1. Oktober 1998. Anders ausgedrückt: nicht mehr jeder Radweg muss benutzt werden. Da, wo die Radwegbenutzung gefährlich oder gleich gefährlich wie das Radfahren auf der Fahrbahn ist, darf keine Radwegebenutzungspflicht angeordnet werden. Wie in der Aalborgstraße in Rendsburg sind die Radwege baulich vorhanden, dürfen benutzt werden, müssen aber nicht (§ 2 IV StVO). Leider wurde im Raum Rendsburg die Umsetzung der StVO-Novelle von 1997 bisher verpennt. Der Kreis hatte 2019 mit neuem Personal mit der Umsetzung begonnen; die Stadt Rendsburg ordnet sogar rechtswidrige neue Radwegebenutzungspflichten an.
Unter vehicular cyclists wird häufig zitiert: "Gute Radwege brauchen keine Benutzungspflicht. Sie werden benutzt". Angesichts der Regelunkennis, Rücksichtslosigkeit und Aggression insbesondere motorisierter Verkehrsteilnehmer, sind gute Radverkehrsanlagen auch wünschenswert.
Doch was macht gute Radwege aus? Unter anderem wird bei der Ausgestaltung der Raumbedarf von Radfahrenden berücksichtigt, aber auch die Heterogenität der Geschwindigkeiten, also die Erfordernis des Raums für das Überholen. Deswegen sind Hochbordradwege bei geringem Radverkehrsaufkommen mindestens 1,6 m breit, hinzu kommen Trennstreifen zum Gehweg sowie 0,25 m zur Fahrbahn oder mindestens 0,5 m zu Parkständen. Bei hohem Radverkehrsaufkommen können für einen Einrichtungsradweg durchaus mehr als 2 m notwendig werden. Das ermöglicht zügiges Überholen mit Sicherheitsabstand. Die Sichtbeziehungen an Einmündungen und Ausfahrten müssen gut sein. Die Vermischung von Fuss- und Radverkehr darf es nur bei sehr geringem Fuss- und Radverkehrsaufkommen geben.
Linksseitige Radwegebenutzungspflichten soll es wegen des hohen Unfallrisikos innerorts nicht geben (vgl. VwV-StVO zu § 2 Abs. Rn. 33). Linksseitige Radwegebenutzungsrechte kann es ausnahmsweise unter Berücksichtigung einiger Dinge geben.

Was gilt eigentlich in der Alltagspraxis für Radfahrende?

Es gilt für Radfahrende ein Fahrbahnbenutzungsgebot oder eine Fahrbahnbenutzungspflicht. Das gilt, weil Fahrräder Fahrzeuge sind und Fahrzeuge auf der Fahrbahn fahren müssen. Radfahrende müssen "mitten auf der Straße" fahren. Dabei ist die rechte Spur der Fahrbahn zu wählen. Zum Fahrbahnrand stehen Radfahrenden 0,5 bis 1 m Sicherheitsabstand zu,  zu parkenden Autos 0,75 bis 1,25 m. Das sind Sicherheitsabstände, welche im eihgenen Sicherheitsinteresse eingehalten werden sollten. Wer zu weit rechts fährt, wird schlecht wahrgenommen, außerdem lädt der Gossenradler zum engen Überholen ein.
Aber in § 2 IV StVO folgt dann noch die Ausnahme. Radfahrende dürfen den in Fahrtrichtung rechten Radweg benutzen. Es gibt also ein Benutzungsrecht für baulich angelegte Radwege in Fahrtrichtung rechts. Steht am linken Radweg ein alleinstehendes Zusatzzeichen "Radverkehr frei" (Zz. 1022-10 StVO), darf usnahmsweise vom Rechtsfahrgebot abgewichen und der linke Radweg benutzt werden.
Nur, wenn ein Zeichen 237 , 241 oder 240 StVO an dem Straßenteil steht, gilt eine Pflicht, den Radweg zu benutzen. Das ist § 2 IV 2 StVO zu entnehmen. Diese Benutzungspflicht gilt aber nur, wenn der Radweg zu einer Straße gehört, stetig im Verlauf zumutbar benutzbar ist.

Das Nichthandeln der Verwaltungen

Zuständig ist für die verkehrsrechtliche Anordnung die Straßenverkehrsbehörde. Das ist der Kreis respektive im Stadtgebiet Rendsburg die Stadt. Fachaufsicht ist der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr (LBV SH). Diese hatten 1997 vom Verordnungsgeber die Hausaufgabe aufbekommen, bis zum 30. September 1998 zu prüfen, welche "blauen Lollies" noch stehenbleiben müssen. Diese Arbeit wurde nicht erledigt. Auch andernorts gab es Defizite bei der Umsetzung, wie ein Artikel der Stiftung Warentest von 2013 aufzeigt. In Berlin hatte unter anderem ein fahrradaffiner Jurist diverse Radwegebenutzungspflichten angefochten oder Neubescheidungen beantragt. Das führte zum Umsetzungen seitens der Verwaltung. Der Kreis RD-ECK hat 2019 begonnen, die Versäumnisse nachzuarbeiten.
Grob zusammengefaßt dürfen Radwegebenutzungspflichten nur dort angeordnet werden, wo ausnahmsweise der Mischverkehr auf der Fahrbahn gefährlicher als die Benutzung des Radweges ist. Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Hürden 2010 für die "über das normale Maß hinausgehende Gefahrenlage" und 2013 für die Abweichung von baulichen Mindeststandards im Altbestand sehr hoch angesetzt.
Einen Rechtsschutz für alte verkehrsrechtliche Anordnungen gibt es übrigens nicht. Es gibt sogar eine Pflicht zu zweijährlichen allumfassenden Verkehrsschauen. Außerdem sind die Beteiligten der Straßenverkehrsbehörde an gewiesen, bei jedem Anlaß, etwa nach einem radwegetypischem Unfall, die Zweckmäßigkeit einer Radwegebenutzungspflicht zu prüfen (VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Rn. 29). Allerdings setzt das Erkennen der Notwendigkeit einer Überprüfung voraus, dass den Verantwortlichen die Problematik des radwegetypischen Unfallrisikos bekannt ist. Entscheidern ist leider häufig heute noch nicht einmal bekannt, was es mit dem Verkehrszeichen auf sich hat. Der populäre Irrtum, der übliche Radweg diene der Sicherheit Radfahrender, hält sich auch bei denen, die es von berufswegen besser wissen müssten. Dennoch behauptet etwa der betreffende Fachdienst der Stadt Rwendsburg auf Anfrage hin, es bestünde kein Bedarf für Fort- und Weiterbildungen. Die rechtswidrigen Anordnungen von Radwegebenutzungspflichten im Stadtgebiet sprechen eine andere Sprache.
Der gute neue Radweg in der Hindenburgenstraße ist selbst nicht zu beanstanden. Jedoch lässt sich schnell feststellen, dass ausgerechnet auf der Zuwegung zum Fussgängertunnel unter dem NOK der Fussverkehr kaum Raum hat. Das Mindestmaß für neue Gehwege beträgt 2,5 m. Benutzungspflichtige baulich angelegte Radwege dürfen nur angeordnet werden, wenn ausreichende Flächen für den Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen (VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Rn. 9). Dennoch wurde ohne Notwendigeit Zeichen 241 StVO angebracht.
Im Winter 2020/21 erschien plötzlich ein linksseitiges Zeichen 241 StVO hinter der Bushaltestelle stadteinwärts in der Eckernförder Straße. Wir haben nun die absurde Situation, dass der Radverkehr in Büdelsdorf sicher im Mischverkehr auf der Fahrbahn fährt, hinter dem Bahnübergang zwischen Fahrbahn und Angebotsradweg wählen kann, kurz vor der Kreuzung mit der Gerhardstraße plötzlich einer linksseitigen Radwegebenutzungspflicht auf dafür ungeeignetem ca. 1,3 m schmalen Hochbordradweg gezwungen wird, um dann nach der Kreuzung wieder zwischen rechter Spur der Fahrbahn und rechtem Angebotsradweg wählen zu können. Diese Anordnung ist übrigens grob rechtswidrig, derart offensichtlich mit schweren Ermessensfehlern versehen, dass diese Allgemeinverfügung Radwegebenutzungspflicht nach § 44 VwVfG nichtig ist. Sie kann getrost ignoriert werden.
Der Klinter Weg  - immerhin Veloroute - bekam Zeichen 240 StVO, es wurde also eine Benutzungspflicht auf einem gemeinsamen Fuss- und Radweg angeordnet. Zwar sind außerorts die Einschränkungen zur Anordnung lockerer, aber auch nur, wenn die Verkehrsfläche dafür geeignet ist. Wir haben de facto eine permeable Sackgasse für den Kfz-Verkehr, weil in Fockbek eine Fahrradstraße angeordnet ist, mit nachrangiger Duldung von Kfz-Verkehr. Da ist es verwunderlich, wie bei relativ hohem Fussverkehrsaufkomme und auf einer Veloroute eine Benutzungspflicht auf viel zu schmaler Verkehrsfläche mit den schlechten Sichtbeziehungen an den Ausfahrten gerechtfertigt werden soll. Vehicuar cyclists fahren auch aus Rücksicht auf zu Fuss Gehende auf der Fahrbahn.
Ein anderes Beispiel, dass die Grundprobleme nicht verstanden wurden, findet sich im Zuständigkeitsbereich des Kreises. Die Ortsdurchfahrt der K1 in Alt Duvenstedt war 2019 saniert worden. Es entstand ohne Berücksichtigung der Regelwerke oder der Verkehrssicherheit auf einer Seite ein breiterer Gehweg, der in beide Richtungen mit Zeichen 240 StVO versehen wurde. Zweirichtungsradweg innerorts bei schlechten Sichtbeziehungen und ohne Rücksicht auf den Fussverkehr.
Aktuell entsteht in Büdelsdorf ein 2 m schmaler "gemeinsamer Fuss- und Radweg" in der Hollerstraße. Da wird es spannend, wie die Straßenverkehrsbehörde darauf reagiert. Wenn sie nach Recht und Gesetz, alsorechtstaatlich handelt, wird sie kein Zeichen 240 StVO anordnen. Ansonsten wird das Verwltungsgericht Nachhilfe erteilen müssen.
Es bleibt zu hoffen, dass rechtmäßige Zustände nicht im Straßenkampf Straßenzug für Straßenzug mit Widersprüchen, Anträgen auf Neubescheidungen oder gar Klagen herbeigeführt werden müssen. Das ist ein aufwendiges Vorgehen, welches infolge von Fehlinformationen und wegen populärer Irrtümer Anfeindungen zur Folge hat.

Rechtstaatliches Verwaltungshandeln setzt voraus dass die Verwaltung sich an das Recht hält. Dieser Beitrag zeigt auf, dass die Kommunal- (StVBen) und Landesverwaltung (Polizei) schwere Defizite aufweisen, wenn es um Radverkehr geht. Vehicular cyclists leiden unter dem vergifteten Verkehrsklima sowie der Rechtsunsicherheit wegen der vielen Nichtakte (Altbestand von Z. 237, 241 oder 240 StVO aus der Zeit vor 1998 ohne Anordnung), nichtigen Anordnungen (wegen schwerer Ermessensfehler, die für den Laien erkennbar sind) und der Willkür.
Außer bei gemeinsamen Fuss- und Radwegen wird keinem anderen Radfahrenden etwas genommen, wenn eine Benutzungspflicht fällt. Bestandsradwege werden Angebotsradwege. Viele bestehende Benutzungspflichten nehmen allerdings vehicular cyclists Komfort und Verkehrs- und Rechtssicherheit. Außerdem sind die vielen willkürlich gestreuten Radwegebenutzungspflichten Ausdruck eines Verfalls des Rechtsstaates. In Zeiten einer Diskussion über negative Entwicklungen in anderen EU-Staaten ist es umso wichtiger, dass wir vor der Haustür kehren. Wer sich wünscht, dass Radfahrende Radwege benutzen, muss sich für die Schaffung von Radverkehrsanlagen nach Stand der Technik einsetzen, komfortable und sichere Radwege.


Nachtrag 22. September 2023: In einer eMail verwies ein Leser auf einen Artikel, eine Medienmitteilung der UdV, nach deren Untersuchung die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht die Sicherheit nicht verbessere. Der Fehlschluss dürfte sein, dass jene rund 7 % vor allem männlicher Radfahrender, die dann auf der Fahrbahn fahren, ebenso nicht sicher wären. Das ist die falsche Deutung. Die Radwegebenutzungspflicht-Aufhebung hat keine positiven Effekte, weil rund 93 % der Radfahrenden weiterhin den Angebotsradweg nutzen. Dass weiterhin die meisten Radfahrenden den Radweg nutzen, wissen wir aus einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen. Das Sicherheitsempfinden durch Separation oder schlicht Unkenntnis der Regel und ihrer Hintergründe führt dazu, dass die Mehrheit unkritisch Radwege nutzt.
Dass im Einzelfall die Sicherheit auf einer Radverkehrsanlage separiert höher sein kann, bestreite ich nicht. Aber das muss die Straßenverkehrsbehörde in einem Gutachten nachweisen. Das kann im extremen Ausnahmefall ogar auf einem 1,2 m schmalen Hochbordradweg neben einer Fahrbahn mit mehr als 60.000 Kfz/d sein, wie es der Münchner Fall von 2013 vor dem Bundesverwaltungsgericht war. Entscheidend ist: "Die Aufhebung der Benutzungspflicht wirkt sich meist weder positiv noch negativ auf die Sicherheit aus." (UdV) Radwegebenutzungspflichten dürfen aber nur dort angeordnet werden, wo es eine über das normale Maß hinausgehende Gefahrenlage auf der Fahrbahn im Mischverkehr gibt. Es muss sichlicht gefährlicher sein, auf der Fahrbnahn zu fahren, als den Radweg zu benutzen. Dabei dabei übrigens Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht als  Gefahrenlage betrachtet werden, sondern muss geahndet werden. Verfassungsrechtlich darf nämlich der Nichtstörer - hier ein vehicular cyclist - nicht benachteiligt werden, sondern die Störer müssen verfolgt werden. Deswegen sind Maßnahmen etwa gegen das gefährdend enge Überholen geboten. Es geht im obigen Blogbeitrag auch um den Punkt, dass eben nicht Radfahrende willkürlich auf die Radwege gezwungen werden dürfen. Bedauerlicherweise haben weder der Landrat noch die Straßenverkehrsbehörde der Stadt Rendsburg bis heute ihre Hausaufgabe mit Abgabetermin 30. September 1998 erledigt. - übrigens hatte ich nicht nur die Medieninformation, sondern die gesamte Studie gelesen.

Ein weiterer Kritikpunkt war ein Satz: "Ein Sozialdarwinismus ist im Verkehrsrecht also nicht gegeben, sondern eher eine christlich-jüdische Tradition." Dieser Satz zielt darauf ab, dass die abendländische Rechtstradition die Schwächeren vor den Stärkeren schützt. Der Verordnungsgeber macht in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 1 StVO auch sehr deutlich, dass er das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aller Verkehrsteilnehmenden höher wertet als das Mobilitätsrecht Es gibt jedoch eine sozialdarwinistische Auslegung des Rechts, etwa durch Polizeibeamtys, welche in bloßer Existenz Radfahrender Verkehrsbehinderungen sehen. Denn die sozialdarwinistische Interpretation überbetont einseitig Rücksichtsnahme auf den Stärkeren. Der Schwächere solle kuschen. Diese Hierarchie mit dem Automobil an der Spitze gibt es aber nicht. Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer hat Vorrang vor der Leichtigkeit des Verkehrsflusses. Und ja, das kann auch mal das Ausbremsen von Radverkehr nötig machen, wenn etwa Fussverkehr ansonsten gefährdet würde. Ein Beispiel ist etwa die Ausnahmeregelung für Bushaltestellen auf beengtem Raum nach ERA d. FGSV. Die funktioniert nur bei Angebotsradwegen. Da wird die Haltestelle als Gehweg gestaltet, der Angebotsradweg wird unterbrochen. Damit Radverkehr weiterfahren kann, wird Zeichen 239 "Gehweg" mit Zusatzzeichen 1022-10 StVO "Radverkehr frei" im Haltestellenbereich angeordnet. Dann ist auf dem kurzen Stück der Haltestelle Nachrangigkeit gegeben und Schrittgeschwindigkeit geboten. In Rendsbur haben übrigens irgendwelche, die das angeblich beruflich machen, solche Haltestellunggestaltung in der Eckernförder Straße und Am Grünen Kranz vorgenommen, damit den benutzungspflichtigen Radweg (Z. 241 StVO) unterbrochen und unstetig gemacht. Auf Verkehrszeichenkombinationen wurde auch noch verzichtet, so dass strenggenommen Schieben geboten ist. Würden andere zu Fuss Gehende oder Wartende behindert, muss nach § 25 II StVO das Fahrzeug auf der Fahrbahn geschoben werden. Warum als nicht gleich dort fahren?

Noch mal zu Studie der UdV zur Radwegebenutzungspflicht zurück. Für die Radverkehrsförderung benötigen wir Radverkehrsanlagen, denn die meisten Radfahrenden wollen separiert werden. Für die Verkehrssicherheit bringen Radverkehrsanlagen selten einen Vorteil. Aber sie müssen sicher gestaltet werden, weil die Radfahrenden sie nutzen wollen. Und Sicherheit erfordert stetig  sichere zumutbare Benutzbarkeit, Mindeststandards.
Genau deshalb sind übrigens die Pläne der Stadt Rendsburg so verwerflich, nur den Untergrund der Hochbordradwege im Bestand mit Grant sanieren zu wollen. Das senkt zwar Alleinfallrisiken durch Wurzelaufbruch, erhöht aber das Sturzrisiko bei Gefahrenbremsung. Und die Gefahren werden eben nicht beseitigt, die radwegetypischen Unfallrisiken wie schlechte Sichtbeziehungen an Knotenpunkten oder dooring zone.

Zuletzt aktualisiert am Freitag, den 22. September 2023 um 12:15 Uhr
 

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