Verkehrsklima in der Region Rendsburg Drucken
Geschrieben von: TF   
Dienstag, den 04. Oktober 2016 um 15:23 Uhr
Beiträge im Blog geben nicht zwingend die Meinung aller Mitglieder des ADFC wieder.

(TF) In derAusgabe der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung vom 6. August 2016 (S. 8) beklagt sich der Radsportspartenleiter der SG Athletico Büdelsdorf Manfred Bartsch zu recht über die Aggression von Automobilisten gegenüber auf der Fahrbahn Radfahrenden. Viele der Aggressionen, die Radfahrende erleiden, resultieren aus der Regelunkenntnis anderer Verkehrsteilnehmer. Fahrräder sind auf dem Papier gleichberechtigte Fahrzeuge. Doch in den Köpfen vieler Verkehrsteilnehmer, aber auch von Planern und Mitgliedern der Rennleitung herrscht noch die Verkehrsmittelapartheid. Automobilität hat nach dieser überkmmenen Denkart Vorrang, alle anderen Mobilitätsformen sind zweitrangig. Die Regelunkenntnis ist weit verbreitet. Vor allem der Hintergrund der Aufhebung der Allgemeinen Radwegebenutzungspflicht ist unbekannt, nämlich das erhöhte Unfallrisiko auf den üblichen ach so "gut ausgebauten Radwegen". Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Radfahrenden wiegt höher als der vermeintliche Anspruch auf freie Fahrt für Automobilität. Als weiterer Faktor kommt die Mär vom sicheren Radweg hinzu. Wer jahrelang eingeimpft bekommen hatte, daß der handtuchbreite Radweg der sicherste Straßenteil für Radfahrende ist, glaubt auch daran. Über 90 % der Radfahrenden Radwege auch nach weggefallener Benutzungspflicht, weil sie ihrem subjektivem Sicherheitsempfinden folgen. Wer auf der Fahrbahn mit seinem nichtmotorisierten Fahrzeug unterwegs ist, ist daher ein Exot, obwohl sein Verhalten regel- und sicherheitsbewußt ist. Dieser Exot stört nach dem Verkehrsmittelapartheitsgedanken den Verkehrsfluß und erzeugt Aggression bei regelunkundigen Autofahrenden. Das Unverständnis für die Nichtbenutzung des vermeintlich sicheren, ach so “gut ausgebauten Radweg” führt in einigen Fällen vermutlich zu dem Gedanken, daß der Radfahrende nur auf der “Straße” fährt, um “den Verkehr zu behindern”. Das dürfte die Aggression eröhen. Wenn die Verwaltung, voran das Bundesverkehrsministerium, also nichts für die Aufklärung über die Verkehrsregeln tut, wenn dazu noch Boulevardblätter, aber auch seriöse Medien Falsches verbreiten, bleibt die Regelunkenntnis bestehen. Der Krieg auf den Straßen wird durch die fehlende Aufklärung befeuert. Radfahrende auf der "Straße" sind nach der StVO der Regelfall, weil Fahrzeuge auf der Fahrbahn der Straße geführt werden müssen (§ 2 StVO). Für baulich vorhandene rechte Radwege besteht ein Benutzungsrecht, welches häufig als Wahlrecht interpretiert wird. Beispiele für Radwege mit Benutzungsrecht finden sich in westlichen Hollerstraße in Büdelsdorf, im Röhlingsweg, im Rotenhöfer Weg sowie abschnittsweise in der Nobiskrüger Allee, der Schleswiger Chaussee und in der Eckernförder Straße. Benutzungspflichtige Radwege sind die Ausnahme. Die Radwegebenutzungspflicht wird durch die Zeichen 237, 240 oder 241 StVO angezeigt. Sie dürfen nur dort stehen, wo sowohl der fahrbahnbegleitende Radweg die Mindestkriterien der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 S. 2 (Bestand) oder der ERA 2010 (Neubauten) erfüllt. Anders als im Imfokasten neben dem Artikel angegeben, muß nicht jede Radwegebenutzungspflicht befolgt werden. Zuerst einmal muß der benutzungspflichtige Radweg ohnhin fahrbahnbegleitend sein. Dazu gehören übrigens auch die gleichen Vorrangrechte wie Fahrzeuge auf de Fahrbahn. Aus der VwV-StVO zu § 9 kann hergeleitet werden, daß ein Radweg nicht mehr fahrbahnbegleitend ist wenn er mehr als 5 m abgesetzt ist. Dann gehört er schlichtweg nicht mehr zur Straße. Benutzbarkeit ist ein weiteres Kriterium. Stehen Mülltonnen auf dem benutzungspflichtigen Radweg, wird er unbenutzbar. Beliebt ist auch das ordnungswidrige Beparken mit Autos. Schnee, Eis, nasses Laub ... Wenn die Fahrbahn im Gegensatz zum Radweg geräumt ist, darf auf der Fahrbahn gefahren werden (z.B. OLG Naumburg 1 U 74/11).
Die Zumutbarkeit eines Radweges ist in der rechtsverbindlichen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO definiert. Da dort genaue Maße angegeben sind, läßt sich für einen Laien leicht erkennen, wann ein Radweg unzumutbar ist. Ein Radweg mit 1,2 m Breite, der ohne Sicherheitsräume direkt an Gehweg und Parkseitenstreifen angrenzt, erfüllt nicht einmal die lichte Mindestbreite von 1,5 m für Radwege bei geringem Radverkehrsaufkommen. Die ERA 2010, die den Stand der Technik wiedergeben, sehen eine Mindestbreite von 1,6 m vor. In unserer Region fehlt es den Radwegen fast durchgehend an den Sicherheitsräumen. Einzig die Radwege der Brückenstraße in Büdelsdorf kommen den Anforderungen sehr nahe. Für mehrspurige Lastenräder und Gespanne sieht die VwV-StVO die Ausnahme von der Benutzungspflicht bei schmalen Radwegen vor.
Die Straßenverkehrsbehörde allein darf Radwegebenutzungspflichten anordnen. Von Dorfbürgermeistern oder Bauarbeitern willkürlich aufgestellte Verkehrszeichen sind Nichtakte und dürfen bei Kenntnis ignoriert werden.Verkehrszeichen, die in Fahrtrichtung nicht gesehen werden können, sind rechtsunwirksam.
Die Allgemeinverfügung im Verkehrszeichen ist nach § 44 VwVfG nichtig, wenn schwere Rechtsfehler vorliegen. Die Nichtbeachtung rechtsverbindlicher Vorschriften durch die anordnende Behörde ist ein solcher schwerer Rechtsfehler, wenn sie für den Laien leicht erkennbar ist. Die deutliche Unterschreitung der Mindestbreite ist ein entsprechender schwerer Rechtsfehler (vgl. Kettler 98 ff.) Diese Mindeststandards resultieren aus den Erkenntnissen der Unfallforschung. Dem, der einen neuen Radweg unterhalb der Anforderungen der ERA 2010 plant und baut, klebt das Blut des Opfer der radwegetypischen Unfälle an den Händen. Das mag gut gehen, kann aber auch tödlich enden. Deswegen sollten Unfallopfer bei radwegetypischen Unfällen auf Radwegen auch immer prüfen, inwieweit die Verwaltung verantwortlich ist. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die erste Kfz-Versicherung sich nach einem durch ihren Versicherten verschuldeten radwegetypischen Abbiegeunfall juristisch gegen die Straßenverkehrsbehörde vorgeht.
Regel- und sicherheitsbewußte Radfahrende fahren also auf der "Straße", wie der Straßenteil Fahrbahn im Volksmund genannt wird. Radsportler machen das aufgrund der Anforderungen ihres Sports und des Materials häufiger als z.B. Tourenradfahrende. Das wiederum stört regelumnkundige Autofahrende. Diese hupen, pöbeln, drängeln, überholen eng oder schneiden und bremsen aus (Nötigung!)
Unabhängig davon, ob der Radfahrende nun zurecht oder ordnungswidrig auf der Fahrbahn fährt, muß der Autofahrende mit ausreichendem Seitenabstand überholen (§ 5 IV 2 StVO). Der Verordnungsgeber gibt keinen Wert vor. Die bundesrepublikanische Rechtsprechung sieht mindestens 1,5 m Seitenabstand vor, bei höherer Geschwindigkeitsdifferenz oder gegenüber Kindern sogar mehr. Da der Radfahrende nicht am äußersten rechten Rand fahren muß, sondern ihm Sicherheitsräume zustehen, ist meist ein Spurwechsel notwendig. Auf normalbreiten Fahrbahnen gilt: die Spur gehört dem Radfahrenden. Eine Normalbreite Fahrbahn ist ca. 6 m breit, Dem Radfahrenden stehen 0,5 bis 1 m Sicherheitsraum nach Rechts bzw. 0,75 bis 1,5 m zu parkenden Autos zu, er ist selbst ca 0,7 m breit. Ein Überholen mit einem 2, 2 m breiten Kfz ist also innerhalb einer 3 m breiten Spur schlichtweg verboten. Das enge Überholen ist beängstigend und dazu gefährlich. Eigentlich müßte den selbsternannten Verkehrserziehern die Fahrerlaubnis entzogen werden, weil sie aufgrund charakterlicher Ungeeignetheit andere Verkehrsteilnehmer gefährden.

Literatur:
- Straßenverkehrsordnung (StVO)
- Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO)
- Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010)
- Kettler, Dietmar: Recht für Radfahrer. Ein Rechtsberater, 3. Aufl., Berlin 2013
- Ausschnitt einer Sendung des MDR