Schwebefähre - oder doch nicht? PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: TF   
Sonntag, den 12. März 2023 um 14:14 Uhr
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Auszug ELWIS-Newsletter

(TF)  Die Freude war groß, als vor einem Jahr die Schwebefähre unter der Eisenbahnhochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal in Rendsburg wieder den Betrieb aufnahm. Das Vorgängernmodell war einige Jahre zuvor durch spektakuläre Kollision mit einem Schiff zerstört worden. Die Schwebefähre wurde nicht nur von Nostalgikern, sondern auch von Alltagsradfahrenden schmerzlich vermisst. Die arkierungen, welche im Winter 2021/22 auftauchten, ließen Freude aufkommen. Die Fahrradweichen an beiden Ufern des Kanals machten deutlich, dass das WSA die Schwebefähre als Radverkehrsinfrastruktur ernstnimmt.

Aufstellfläche, Fahrradweiche Nordufer vor Inbetriebnahme der Schwebefähre

Im März 2022 wurde die neue Schwebefähre dann eingeweiht. Vorranig in der Freizeit, manchmal auch im Alltag wurde die Schwebefähre zur Kanalquerung genutzt. Das folgende Bild entstand spontan auf der Rückkehr von einer Feierabendradtour des ADFC Rendsburg im Frühjahr 2022.

Blick von der Schwebefaehre auf Feierabendradtour im Frühjahr 2022

Eisenbahnhochbrücke über den NOK in Rendsburg mit neuer Schwebefähre Sommer 2022

Für den Gesamteindruck gibt es hier ein Bild vom Sommer 2022. Das zeigt die Schwebefähre im Betrieb, stellt die Gesamtkonstruktion für Alle dar, welche die Schwebefähre nicht kennen. Von dieser Technik gibt es nur noch Wenige auf der Welt, unter anderem gibt es über die Oste in Niedersachsen, in Osten-Hemmoor noch eine Schwebefähre (Beitrag des NDR), welche wie die Rendsburger Schwebefähre zur touristischen Radroute Deutsche Fährstraße gehört.

Bestand der Kanalquerungsmöglichkeiten

Der Nord-Ostsee-Kanal zerschneidet den Wirtschaftsraum Rendsburg. Wohngebiete, aber auch Gewerbe und Industrie liegen nördlich oder südlich des Kanals. Es gibt nur sehr wenige Kanalquerungsmöglichkeiten im Raum Rendsburg. Der klimaschädliche Kfz-Verkehr darf die Fähren nutzen und hat einen eigenen Tunnel (B 77) sowie die Rader Autobahnhochbrücke der A7, welche nach Erkenntnis der DEGES wie eine "Gemeindeverbindungsstraße" genutzt werde. Trotz erheblicher Wegeverkürzungen und wider die Klimaschutzdebatte wird es dennoch keinen Radweg auf dem Ersatzneubau der Rader Hochbrücke geben, obwohl das Bundesrecht gerade für solche Fälle einen Radwegebau vorsieht. Der Fussverkehr hat einen Tunnel, in dem auch Radverkehr geduldet wird. Seit 2021 hat sich im Hinblick auf den Radverkehr im NOK-Fussgängertunnel ein wenig geändert, es scheint, der Fussgängertunnel solle zu Tunnel für zu Fuss Gehende und Radfahrende umdefiniert werden, lässt die neue Beschriftung an den Gebäuden erahnen. Der Tunnel wird mit einem Fahrstuhl oder über Rolltreppen auf jedem Kanalufer genutzt. Die Fähren Nobiskrug bzw. Audorf und die Schwebefähre sind ebenerdig nutzbar. Es gibt also im gesamten Raum Rendsburg drei Kanalquerungsmöglichkichkeiten für den Radverkehr. Der Tunnel der B 77 ist an den meisten Zufahrten mit Zeichen 254 StVO für den Rafdverkehr gesperrt, wohlgemerkt ohne Umleitungswegweisung. Ob es erstrebenswert ist, im stop-and-go durch den stiockigen Tunnel zu fahren, ist ein anderes Thema. Für den Einen oder Anderen Fahrradpendler würde es den Weg verkürzen.
Die nächste Fährstelle zwischen Nübbel und Jevenstedt wurde in den 1970er Jahren, auf dem Höhepunkt des autogerechten Zeitalters eingestellt. Es handelte sich um eine Kettenfähre. Sehestedt und Breiholz sind für Pendler im Wirtschaftsraum Rendsburg unzumutbare Umwege.

Alltagsradverkehr

Nicht nur für Nostalgiker und Radtouristen hat die Schwebefähre in Rendsburg Bedeutung. Da der Wirtschaftsraum Rendsburg durch die künstliche Wasserstraße zerschnitten ist, finden viele Alltagswege zwischen Nord und Süd über den Kanal statt. Auf der Schwebefähre sind neben Schülerinnen und Schülern aus Osterrönfeld auch sehr viele andere Alltagsradfahrende auf der Schwebefähre unterwegs. Alltagsradverkehr ist der Verkehr zwischen Quelle und Ziel mit Alltagsbedeutung, also etwa zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder zwischen Wohnung und Einkaufsmöglichkeit, aber auch der Weg zum Arzt oder zum Familienbesuch fällt darunter.
Alttagsradverkehr ersetzt Automobilität. 75 % der privaten Autofahrten erfolgen auf Strecken unter 10 km. Der Bund möchte einen Großteil des Kfz-Verkehrs bis 15 km zum Umstieg auf das Fahrrad bewegen. Unter anderem mit der Radverkehrsförderung will der Bund im Verkehrssektor Klimaschutzziele erreichen.
Das Wasserschiffahrtsamt als Bundesbehörde hat mit seiner Fahrradweichen mit Aufstellflächenan den Anleghern der Schwebefähre deutlich gemacht, dass es den Radverkehr ernstnimt.

Problem Unzuverlässigkeit von Infrastruktur

Alltagsradverkehr findet vorrangig auf "Kurzsttrecke" statt. Erscheinen Strecken als lang, dabei fließen häufig auch subjektive Eindrücke ein, wird das Fahrrad seltener genommen. Alltagsradverkehr hat Terminvorgaben. Das bedeutet, dass Alltagsradfahrende kurze, zuverlässig nutzbare Wege bevorzugen. Fällt einer der wenigen Kanalquerungsmöglichkeiten aus, verlängern sich Wege, es ergeben sich durch die Unzuverlässigkeit der Schwewbefähre Unwegbarkeiten. Für die Schülerin ist es nicht egal, ob sie sich am Fahrplan der Schwebefähre orientieren kann oder 20 Minuiten mehr einplanen muss, falls sie über Fussverkehrstunnel oder Audorfer Fähre ausweichen muss. Es ist Lebenszeit, die verloren geht. Und wir müssen uns die Frage stellen, ob wir nicht gerade jener Generation, auf deren Kosten wir gelebt haben, welche dann noch in der Pandemie den größten Verzicht üben mussten, nicht den Stinkefinger zeigen, indem wir der durch die frühen Schulzeiten in Deutschland gegen den inneren Chronorithmus der Kinder und Jugendlichen auch wirklich das noch zumuten?
Auch Erwerbstätige sind betroffen. Kann der Freiberufler vor seiner Honorartätigkeit auf der anderen Kanalseite noch nachsehen, welche Route er nutzt, so ist die abhängig Beschäftigte täglich der Wegewahl ausgesetzt. Es ist negativer Stress in der Arbeitsgesellschaft, wenn die Alltagsroute nicht zuverlässig genutzt werden kann."Schon wieder außer Betrieb." In der Facebook-Gruppe der Sylt-Pendler läßt sich nachverfolgen, welchen Rattenschwanz die Unzuverlässigkeit der Verbindung nach sich ziehen kann. Die Osterrönfelder haben nur das Glück, noch mit Zeitaufwand zwei Alternativen, oder bei frustriertem Umstieg auf das Auto auch noch B 77 oder A7 nutzen zu können.
Über 90 % der volljährigen Alltagsradfahrenden haben eine Fahrerlaubnis für PKW. Den Meisten steht sogar ein PKW zur Verfügung. Alltagsradfahrende sind nur so klug, ihre Alltagswege nicht mit diesem Auto zu erledigen, sondern Kurzstrecken entweder die Haushaltskasse entlastend, Ausgleich in Bewegung suchend oder ökologisch motiviert wird das Fahrrad genutzt. Es gibt sogar eine Abhängigkeit von Sozialisation und Bildungsstand. Während am Stamtisch proklamiert wird, nur Hippies, Ökostalinisten, Alkoholiker oder führerscheinlose Hausfrauen würden radfahren, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Es sind Akademiker, die Fahrrad fahren. Während zuviele Haushalte mehrere Investitionen im fünfstelligen Bereich vor der Haustür oder am Ziel herumstehen lassen, haben wirtschaftlich denkende Menschen maximal ein Auto pro Haushalt. Wenn ein Automobil, ein Kleinwagen im Schnitt 450 € im Monat kostet, wenn neben Unterhaltskosten auch Anschaffung und Vorhaltung für Neuanschaffung berücksichtigt werden, der Autor bezieht sich hier auf ältere Berechnungen des ADAC, wird deutlich, wieviele Haushalte ihr Haushaltseinkommen in Blechsärgen verbrennen. Angesichts der Tatsache, dass 25 % aller privaten Autofahrten auf Strecken unter 2 km erfolgen, insgesamt 50 % auf Strecken unter 5 km (Umweltbundesamt), erkennen wir, dass viele dieser blechernen Investitionsgräber unnötig sind. Sie entziehen den Menschen Kaufkraft, weelcher ansonsten in Ernährung oder den lokalen Einzelhandel fließen könnte.
Und hier ist einer der Punkte, warum Alltagsradverkehr für Kommunen so attraktiv ist. neben der Emissionsvermeidung, der Raumeinsparung sowie den geringeren Unterhaltskosten für Verkehrsinfrastruktur bringt Alltagsradverkehr Kaufkraft zu den lokalen Einzelhändlern. Klug gelegte Velorouten haben Anschluss an Innenstädteoder andere Einkaufsmöglichkeiten. Während der Kfz-Führer eher wöchentlich auf die Grüne Wiese fährt, kaufen Alltagsradfahrende auf ihren Alltagwegen ein, mehrals pro Woche. Das durch die Mobilitättswahl eingesparte Geld wird häufig lokal ausgegeben, auch weil entschleunigter Verkehr das Einzelhandelsangebot eher wahrnimmt. Autommobilität brettert blind vorbei. Es weiß kaum noch jemand, welche Geschäfte es vor Ort gibt.
Wenn Alltagsradverkehr keine zuverlässige Infrastruktur vorfindet, geschieht das Gegenteil von de3, was die Klimaschutzziele sind. Anstatt weitere Menschen zur individuellen Verkehrswende zu bringen, das Auto stehen zu lassen, werden frustrierte Alltagsradfahrende auf ihr Auto umsteigen. Im Rattenschwanz werden lokaler Einzelhandel, Anlieger betroffener Straßen durch Emissionen und andere Autofahrende durch dichteren Kfz-Verkehr leiden. Der "Parkdruck" erhöht sich. Es ist also im Interesse Aller, dass es möglichst viele zuverlässige Kanalquerungsmöglichkeiten für den Radverkehr gibt.

Verklärung des Alten

Bezüglich der SchwebefäAlte Schwebefähre, abgewrackt, hinter Zaunhre sind wir verwöhnt gewesen. Das bewährte Ding hing rund 100 Jahre unter der Brücke, verkehrte außerhalb der Wartungszeiten in den Ferien eigentlich immer zuverlässig. Dann kam die Kollision, alle sehnten sich nach Ersatz. Die alte Schwebefähre wurde als zuverlässig verklärt.
In Aufarbeitung des Unfalls und mit Blick auf die Nachrangigkeit des Fährverkehrs gegenüber Schiffahrt, folgten aber Schlüsse, welche Sicherheitsmechanismen erforderlich machten. Die Schwebefähre ist kein alltägliches Produkt vom Fließband. Deshalb war auch mit Kinderkrankheiten zu rechnen. Daher gab es auch mehr als 100 Tage Schonzeit. Nach Einem Jahr ist das Fazit aber, dass sie häufig ausfällt. Abonnenten des ELWIS-Newsletters sehen es regelmäßig. Unbd vielleicht ist es auch das, was unsere Wahrnehmung bestimmt. Hätten wir 1991 nebenbei erfahren, wenn die alte Schwebefähre mal eine halbe Stunde ausfiel? Objektiv müsste untersucht werden, ob Realität der Vergangenheit und heutige Wahrnehmung wirklich soweit auseinander liegen. Die Lokalpresse hätte 1973 vermutlich nur durch Tipp oder Betroffenheit von einem Ausfall erfahren, aber hatte definitiv kein Abo des ELWIS-Newsletters.


Alte Schwebefähre, abgewrackt

Fazit

In Bezug auf die Radverkehrsförderung im Raum Rendsburg ist schon die gefühlte Unzuverlässigkeit der Schwebefähre schädlich. Berichterstattung und subjektiv gefärbte Diskussion schaden der Mobilitätswende im Raum Rendsburg im erhelichen Maße, weil der Eindruck erweckt wird, das klimaschädliche Auto wäre die bessere Wahl für die Alltagsmobilität. Die Kommunal- und Landespolitik sind gefragt, um die Wege im Wirtschaftsraum Rendsburg zu verkürzen. Für den östlichen Wirtschaftsraum wurde schon eine Chance vertan, als Jamaika nicht die Bundesmittel annahm, um auf dem Ersatzneubau der Rader Autobahnhochbrücke auch einen Radweg zu bauen. Wege müssen attraktiv und kurz gehalten werden, wenn Mobilitätswende im Raum Rendsburg Erfolg haben sollen. Der Wirtschaftsraum Rendsburg ist zerschnitten, Wege werden durch gewässer verlängert. Dem kann leicht begegnet werden. Eine Fahrradröhre neben dem B 77-Tunnel oder Wiederbelebung oder Neuschaffung von Fährverbindungen, neue Brücken oder Tunnel dürfen keine Tabu-Themen sein.

Führerstand der abgewrackten alten Schwebefähre

Photos/Bildrechte: Torben Frank (TF).

Zuletzt aktualisiert am Sonntag, den 12. März 2023 um 14:44 Uhr
 

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